Der BOSS

 

Neue Räder braucht der Mann - endlich wieder ein besonderes Projekt:

 

Ein Rad, welches ich schon 1994 bestellt hatte, kam im Frühjahr 2023 endlich zu mir.

Doch nun mal der Reihe nach.

 

Als CYCO-Händler Anfang der 90er Jahre, war ich bei der Vorstellung der 1994er Modelle von einem Rad unheimlich begeistert und bestellte es auch sogleich.

Es sollte als Hingucker in meinem Laden dienen und die Aufmerksamkeit der Kunden erwecken.

Leider bekam CYCO die interessante Rahmenkonstruktion aus Holz und Stahl scheinbar zunächst nicht in den Griff und die Auslieferung sollte sich verzögern.

Da es in diesem Jahr bei mir im Geschäft auch nicht so gut lief, fiel es mir damals nicht schwer, die Bestellung aufgrund der Lieferprobleme zu stornieren.

Die ersten  Räder, des auf 200 Stück (oder waren es auch nur 150 Stück ??? ) limitierten Modells, wurden dann auch erst Ende 1994 - Anfang 1995 ausgeliefert.

In freier Wildbahn habe ich nie ein solches Rad gesehen, womit es für mich trotzdem immer Interessant blieb.

Auch ließ sich über viele Jahre nirgends in den Weiten des Internets etwas über die Geschichte des seltenen Rades finden.

Immer wieder hatte ich mal danach geforscht - vergebens.

Ich musste dann tatsächlich noch 28 Jahre warten, bis sich endlich eine Spur auftat und ich eines der raren Stücke entdecken konnte.

Nachdem ich immer wieder mal in den einschlägigen Internet-Handelsplattformen nach dem Modell Ausschau gehalten hatte, wurde ich in diesem Frühjahr (Februar-März 2023) fündig.

Die Neugier - oder gar der "Habenwollen-Wille" wurde in mir geweckt und ich nahm Kontakt mit dem Inserenten auf.

Nach einigem hin- und herschreiben, wurde ich mit dem Verkäufer handelseinig und so konnte ich das Rad in Düsseldorf abholen.

Genau dieses Rad wurde 1995 im Rahmen einer Verlosung eines Zigarettenherstellers als Gewinn an eine Dame ausgeliefert.

4.000,- DM war der damalige Verkaufspreis für das ausgefallene Rad.

Die Dame konnte vielleicht nicht allzu viel mit ihrem Gewinn anfangen, weshalb es wohl auch verkauft wurde und über einige Umwege zu meinem Vorbesitzer kam, der es sich als Alltags- und Stadtrad angeschafft und mit neuen Teilen versehen hatte, aber auch  nicht viel damit fuhr (weil er Angst vor einem Diebstahl hatte).

Wegen geringer Nutzung und auch dem Bedarf an etwas Geld für die Wohnungssanierung entschloss er sich zum Verkauf - und ich war passend zur Stelle.

Nun gilt es, mehr über die Geschichte des Modells in Erfahrung zu bringen.

 

Seinerzeit von CYCO eigentlich als Trekking-Rad konzipiert, soll es bei mir in ein flottes Rennrad für gemütliche Touren umgebaut werden.

Dies wird wohl das nächste Winterprojekt werden. Hoffentlich wird es dann auch ein Hingucker :-)

 

Ist so eine Restaurierung in Ordnung, bei solch einem außergewöhnlichen Rad?

Mir egal - Hauptsache, es wird ein Rennrad :-)

 

Update Mai 2023: Nach langen Überlegungen (und einigen Gedanken beim einschlafen), ist nun der zukünftige Aufbau ziemlich klar.

Hatte ich zunächst noch in Betracht gezogen, den Rahmen mit aktuellen Komponenten aus der silbernen Campagnolo Centaur 11-fach Gruppe zu realisieren und das Rad nur optisch auf "alt" zu trimmen, bin ich nun zum Entschluß gekommen, dass dieses Rad von 1994-95, auch mit Komponenten aus dieser Zeit versehen wird.

Einzig und alleine die Laufräder werden mit (alten 8-fach Campa-Naben) neuen Felgen (aus Holz), Speichen und Reifen (echt breite 36er Challenge Strada Bianca) neu aufgebaut. 

So kann es auch bald den Klassikerstatus mit 30 Jahren erreichen.

 

Update Mai-Juni 2023: 

1.) Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich ein Aufkleber auf dem Rad, als Hinweis auf den Designer.

Zu diesem habe ich nun Kontakt aufgenommen und um weitere Infos gebeten.

2.) Einen Tag später:   Es ging ganz schnell und der nette Herr hat geantwortet.

Die Ergebnisse der Geschichte folgen bald.

3.) Ich habe mich seeeeehr gefreut und werde nach einer Rücksprache mit ihm bald die Geheimnisse lüften :-)

 

 

Die Geschichte zum CYCO Boss

 

Im August 1993 wurden Maschinen und Lagerbestande der Mitteldeutschen Fahrrad-Werke (ehem. DDR-VEB - nun im Besitz der Treuhand) von Urs Haymot und Franco Knill, zwei Geschäftsleuten aus der Schweiz, angekauft und der Betrieb als Fahrradtechnik Sangerhausen GmbH (FaSa) in drei von der Treuhand angemieteten Hallen aus den 1970er Jahren weitergeführt.

Die übrigen Gebäude, meist noch aus der Vorkriegszeit, wurden in der Folge abgerissen.

Der neue Marke CYCO wurde geboren.

Die beiden Schweizer hatten große Ziele und wollten schöne und hochwertige Räder herstellen und gingen das Projekt mit großem Ehrgeiz an.

Aber bereits zwei Jahre später musste das Unternehmen leider Konkurs anmelden.

Die Räder damals waren wirklich von guter Qualität und tollem Design. Das kann man von dem, was mittlerweile unter dem Namen CYCO verkauft wird, leider nicht mehr uneingeschränkt sagen.

 

 

Guido Golling vom Designbüro 5TH Dimension war seinerzeit für den Entwurf des Rades verantwortlich und hat mir folgendes aus dieser Zeit berichtet: (kursive Schrift in Anführungszeichen)

 

"1993-94 haben wir, die Münchner Werbeagentur Sportive bei der ich zu dieser Zeit den Bereich Industrial Design geleitet habe, den Auftrag gehabt, die MIFA (MittelDeutsche Fahrrad Werke) neu aufzustellen und Markenkonzepte, Vermarktungskonzepte und Produktentwicklung zu kreieren.

Da die Produktionsstätten in Sangerhausen nur relativ simple Stahlrahmen produzieren konnten und die Technologie dort einige Jahre zurück war, haben wir das Konzept entwickelt, hohe handwerkliche Fähigkeiten, Tradition im Fahrradbau und Leidenschaft zum Fahrrad durch einzigartiges Design ins Rampenlicht zu stellen.
Unter diesen konzeptionellen Vorgaben sind dann einige aussergewöhnliche Modelle entstanden, die sozusagen als käufliche „Showbikes“ präsentiert wurden.
Das hat der Marke CYCO dann Aufmerksamkeit und wieder Interesse auch an der gesamten Radkollektion gebracht.
Das Cyco Boss war natürlich eine interessante Designentwicklung, bei der  traditionelle Materialien aus dem Fahrzeugbau, wie Stahl und Holz in Verbindung gebracht wurden und somit eine sehr eigenständige Ästhetik zustande kam. 
Aber auch das Flexverhalten des Rahmendreiecks, inspiriert durch Freischwingerstühlen aus Schichtholz ist vom Fahrkomfort extrem interessant.
Dazu haben wir die Rahmenteile in Dänemark bei einem Produzenten von Möbelteilen fertigen lassen.
Die Passgenauigkeit beim Zusammenfügen der Stahlrahmenteile, des Holzteils und der restlichen Fahrradkomponenten war natürlich schon eine Herausforderung, aber wie man sieht, hat die Konstruktion einige Jahre überlebt.
Ich selbst habe auch noch ein Cyco Boss mit der Seriennummer 007.
Inzwischen bin ich schon seit 20 Jahren mit meinem Designbüro 5TH Dimension in der Fahrrad, Fahrzeug und Sportartikelbranche tätig und habe schon unzählige Fahrradkollektionen und Fahrzeuge entworfen, wobei sicher einige sehr bekannte und richtungsweisende Fahrräder dabei waren.
Das Cyco Boss ist immer noch ein sehr markantes Exemplar."
Ich hatte dann noch ein paar Nachfragen bezüglich der Stückzahl und auch weil ich meinte damals gehört zu haben, dass die Holzteile bei einem Bootsbauer gebaut worden sein sollten.
Auch hier ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.
"Bei der Herstellung der Holzrahmenteile bin ich mir auch nicht mehr ganz sicher, wer die Kleinserie gebaut hat.
Das kann auch ein Bootsbauer gewesen sein, aber nach der Zeit ist die Erinnerung doch etwas schwach.
Die Stückzahl weiß ich leider auch nicht."
Vielen Dank an Guido Golling für die Insider-Informationen :-)
Vielleicht bekomme ich ja irgendwann irgendwoher auch noch Antworten auf die ausstehenden Fragen.

Vorab ein paar Bilder des aktuellen Zustand des Rades und vom damaligen CYCO-Katalog